
Schön, wenn man begriffen hat, dass man nicht perfekt sein muss.
Aber die Frage, die bleibt, ist: Wie bekomme ich es hin, die meiste Zeit über die Mutter zu sein, die ich sein will, ohne wahnsinnig zu werden
(oder wenigstens nur ein bisschen)?
Eins mal direkt vorweg: Ich bin keine Pädagogin, und das Einzige, das mich vielleicht dazu befähigt, Kinder zu erziehen, ist, dass ich selbst eins war. Und vielleicht mein Praktikum in einer Offenen Ganztags-Grundschule. Aber mal im Ernst: Irgendeine Strategie braucht halt jeder und über die Jahre habe ich das ein oder andere gefunden, das mir wirklich hilft, wenn mal wieder alle Stricke reißen. Was übrigens nicht heißen muss, dass dann am nächsten Tag alles besser läuft - das kann sich auch mal eine ganze Weile hinziehen, bis ich wieder auf einen grünen Zweig komme und dauerhaft einigermaßen entspannt durch den Familienalltag komme.
Aber immerhin hilft es mir über den Berg.
Und das ist manchmal alles, was zählt. Und so habe ich mir mit der Zeit mein persönliches Mama-Help-Desk aufgebaut, mir Dinge, die wirklich gut geholfen haben, aufgeschrieben, mir kleine Erinnerungen in ein niedliches Notizbuch geschrieben. Einiges habe ich verinnerlicht, manches vergesse ich leider allzu oft und muss dann tatsächlich nochmal nachblättern.

Hier sind meine Top 5 :)


Tipp Nr. 1: Hör auf Dich für Fehler selbst zu verurteilen!
Ja, auch wenn ich selbst oft genug meine Schwierigkeiten damit habe: Es hat absolut keinen Sinn, sich über vergangene Fehltritte noch hundertmal den Kopf zu zerbrechen. Ich weiß, man hat das Gefühl, man müsste die Situation nochmal und nochmal durchgehen. Damit man weiß, an welchem Punkt es schieflief. Aber was soll ich sagen: Es ändert ja nichts mehr daran, dass es nunmal schiefgelaufen ist. Natürlich ist es gut, zu reflektieren, was man hätte besser machen können. Einmal, vielleicht zweimal. Und dann entschuldigt man sich im Idealfall auch bei seinem Kind und erklärt kurz, wie es zum Fall-Out kam. Aber dann muss auch gut sein.
Denn das Einzige, was ansonsten passiert, ist, dass wir schlechte Laune bekommen. Und unseren Gedanken nachhängen, obwohl wir es eigentlich im Hier und Jetzt besser machen sollten. Ist Dir das auch schon passiert? Dass du so sehr mit den Gedanken an einen Fehltritt beschäftigt warst, dass Du im nächsten Moment wieder blöd reagiert hast? Wieder gemeckert hast? Verrückt, oder? Also, hör auf damit. :)
Tipp Nr. 2: Die 5- zu- 1 - Regel
Es gibt eine These, die besagt, dass stabile Beziehungen jeglicher Art auf der Basis der 5- zu- 1- Regel aufgebaut sind. John Gottmann, ein amerikanischer Beziehungsforscher, geht bei seiner Theorie, die ursprünglich auf Paarbeziehungen gemünzt war, davon aus, dass in einer gesunden Beziehung das Verhältnis von positiven Erfahrungen gegenüber negativen Interaktionen bei 5 zu 1 liegt. Das würde im Umkehrschluss bedeuten: Jede Beziehung, in der fünf schöne, liebevolle und respektvolle Interaktionen mit einer schlechten Erfahrung bzw. weniger liebevollen Interaktion einhergehen, wird insgesamt als positiv und stabil empfunden.
Das klingt jetzt ein bisschen mathematisch
und irgendwie auch fast wie ein Freibrief? So nach dem Motto: Wenn ich einmal laut und unwirsch mit meinen Kindern war, kann ich es ja danach mit fünf schönen Momenten wiedergutmachen?
Naja - ganz so berechnend soll es natürlich nicht sein. Aber mal abgesehen davon, dass an der 5-zu-1-Regel schon irgendwie was dran zu sein scheint, hat sie bei mir noch einen ganz besonderen Effekt. Nämlich, dass ich es wieder schaffe, mich auf die positiven Momente im Alltag mit den Kindern zu konzentrieren, wenn es mal schlecht lief.


Denn wenn ich meine Aufmerksamkeit nach einem Fehltritt, einer blöden Reaktion oder einer zu lauten und genervten Anweisung darauf lenke, möglichst viele schöne und liebevolle Momente mit meinen Kindern zu erschaffen, rücke ich die Zuversicht in den Mittelpunkt. Und ziehe mich nicht immer und immer wieder an der einen doofen und Good-Mom-unwürdigen Situation hoch (s. Tipp Nr.1!). Das ist eigentlich ziemlich logisch: Halte dein Gesicht in die Sonne, dann....na, ihr wisst schon. ;)


Tipp Nr. 3: Humor
Leichter gesagt als getan.
Denn wenn meine Kinder mir auf die Nerven gehen und absolut gar nicht zuhören und zum x-ten Mal das tun, was sie nicht tun sollten, kann ich selten lachen. Allerdings würde das wahrscheinlich wirklich helfen.
Nicht, dass ich glauben würde, dass ich das Problem lösen könnte, ich dem ich es einfach weglache und so tue, als sei alles gut. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Humor und Kreativität in solchen Situationen zwei wunderbare Effekte haben: Erstens, ich entspanne mich (ein wenig). Und zweitens, die Kinder lassen sich (nicht immer, aber oft) davon einfangen.
Ein Beispiel: Meine Tochter will sich nicht umziehen und rennt stattdessen wild mit den Armen wedelnd durchs Zimmer. Dabei schleudert sie ihre Klamotten bis in den Flur. Wir müssen in spätestens 5 Minuten los. Puh, das wird knapp, also: Losloslos! Natürlich funktioniert das nicht. Es hat schon nicht beim Zähneputzen funktioniert und auch nicht beim Haarekämmen. Je mehr Druck ich mache, desto langsamer geht es voran. Wer kennt das nicht?
Und natürlich stehe ich üblicherweise früh genug auf,
um alles rechtzeitig vorzubereiten und die Kinder in Ruhe wecken und fertig machen zu können. Aber erstens gibt es tatsächlich auch Tage, an denen Mütter verschlafen (mein Gott, wirklich?!?) und zweitens gibt es eben auch Tage, da würde selbst eine 10-stündige Vorbereitungsphase einfach nicht ausreichen. Und das, was dann wirklich helfen kann, ist eine Prise Humor und Kreativität. Wenn es mir gelingt (und ich nicht völlig übermüdet bin!), drehe ich im richtigen Moment den Spieß um.
Meine Tochter will rennen und Dinge durch die Bude schleudern? Okay, ich mach mit und das Kleidungsstück, das am weitesten fliegt, muss zuerst angezogen werden. Klappt nicht? Dann zieh ich mir die Hose in Größe 104 einfach mal auf den Kopf und frage das Kind, ob das so richtig ist und ob ich die Hose so anbehalten darf. Oder ich veranstalte ein Wettanziehen. Mama gegen Kind. Wer als erster angezogen ist. Na gut, das setzt voraus, dass ich mich auch nochmal im Schlüppi ins Kinderzimmer setze. Der Gewinner darf den Radiosender bestimmen, der im Auto auf dem Weg bis zum Kindergarten läuft. Oder das Lied, das gemeinsam auf dem Fußweg gesungen wird.


Ja, gut, okay.
Ich habe durchaus auch schon von Kindern gehört, die davon völlig unbeeindruckt blieben und sich trotzdem nicht angezogen haben. In solchen Situationen habe ich im Worst-Case übrigens auch schon mal ganz einfach beschlossen, dass das Kind dann eben im Schlafanzug geht. Der Klassiker, hat man ja schon oft von gehört. Beim ersten Mal hab ich mich noch gefragt, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. Beim zweiten Mal war mir schon klar, dass meinem Kind sein Walk im Nachtgewand genau so lange egal ist, bis es feststellt, dass man im Schlafanzug weder Zutritt zum Frühstücksraum noch zum Spielzimmer hat.
Und spätestens dann war immer ganz schnell die Bereitschaft da, die (selbstverständlich vorsorglich eingepackten Klamotten) gegen den Schlafanzug einzutauschen.
Tipp Nr. 4: Szenenwechsel!
Einfach mal von jetzt auf gleich alles stehen und liegen lassen und raus mit den Kids! Spielplatz, Garten, Wald, Feld, mit Laufrad/Fahrrad, ohne Plan - egal. Das ist zugegebenermaßen meine härteste Prüfung, denn ich bin tatsächlich ein Mensch, der ziemlich festgefahren in seinen Vorstellungen ist. :) Das heißt, wenn ich mir vorgenommen habe, die Wäsche auf jeden Fall vor dem Ausflug zum Spielplatz sortiert zu haben, dann fällt es mir irrsinnig schwer, davon abzurücken und zu sagen: "Sch* doch auf die Wäsche, auf dem Spielplatz ist es eh viel schöner!" Oder wenn ich unbedingt für die Nachmittags-Spielzeit im Garten Snacks mit rausnehmen möchte und mir eigentlich klar ist, dass die Obst-Schnippelei einfach zu lange dauert.
Dabei müsste ich viel häufiger sagen:
"Los, Schuhe an, jetzt geht´s sofort los!" Ohne große Vorbereitung. Ich meine, klar: Bevor ich mit den Kindern in den Zoo fahre, packe ich auch erstmal ein Täschchen (okay, einen Koffer) mit Snacks, Getränken, Sonnencreme und Wechselklamotten. Aber ich meine diese kleinen, wirklich bitter nötigen Ausflüge, die schnellen Tapetenwechsel, wenn die Kids mal wieder durchdrehen und mit Filzmalern (oder dem Kopf) gefährlich nahe an den Möbeln vorbeirennen und man genau weiß: Die müssen jetzt raus! Sonst drehen wir alle durch! :)


Was das bringen soll? Erstens hilft mir das, aus dieser blöden Spirale von Nun-mach-doch-endlich, Warum-willst- du-denn-nicht, Ich verstehe-nicht-was-das-soll herauszukommen. Ich nehme mich raus aus dieser Interaktions-Spirale. Stattdessen gebe ich zweitens dem Kind Raum und vorallem einen Namen für seine Gefühle.
Klingt überflüssig?
Keineswegs. Mal abgesehen davon, dass das Kind lernt, seine Gefühle zu benennen und anfängt, sich mit ihnen sicher zu fühlen, schafft das Raum für neue Möglichkeiten. Es ist auch für mich immer wieder erstaunlich, aber wenn es mir gelingt, meinen Kindern zu signalisieren, dass ich ihre Gefühle und Beweggründe sehe und ohne Wertung hinnehme, reagieren sie meist (etwas zeitverzögert) mit einer deutlich höheren Kooperationsbereitschaft. Sie fühlen sich verstanden und sind dann auch wieder eher bereit, mir zuzuhören. Eigentlich auch wieder logisch, oder? :)


Tipp Nr. 5: Einfach mal machen lassen, beobachten, spiegeln.Marte Meo
Waaaaaaaas?! Kinder einfach mal machen lassen, was sie wollen? Nein, nein ganz so ist das nicht gemeint. Ich meine damit nicht, dass ich einfach abschalte und aufhöre, Regeln aufzustellen und Grenzen zu setzen.
Ich stelle bloß einfach fest, dass es manchmal ganz heilsam für beide Seiten sein kann, wenn nicht ständig an Regeln erinnert wird, die sowieso gerade keiner einhalten kann. Oder ich Antworten und Erklärungen einfordere, die mir meine Kinder sowieso gerade nicht im Stande sind zu geben.
Und sehr hilfreich ist dabei eine Methode
in der Kindererziehung, die sich Marte Meo nennt. Dabei geht es unter anderem darum, die Gefühle und Handlungen des Kindes einfach nur zu benennen. Sei es, um das kindliche Freispiel zu begleiten oder auch einen Wutausbruch. Ohne Wertung, ohne Ratschlag, oder angeknüpfte Forderung an sein Verhalten. Einfach nur: "Du bist wütend." "Du möchtest dich jetzt gerade nicht anziehen." "Du hast keine Lust." "Du bist müde." "Du würdest lieber weiterspielen."
Im Übrigen heißt "ohne Wertung" nicht, dass ich kommentarlos hinnehme, wenn eins meiner Kinder schlägt, kratzt, beißt oder Dinge zerstört. Natürlich stoppe ich das und erkläre, dass bestimmt Dinge nicht gehen und auch Kinder sich Alternativen suchen müssen, mit ihren Gefühlen umzugehen. Aber eben das grundlegende Gefühl und das Bedürfnis, das hinter dem Gefühl steckt, darf sein hat es verdient neutral benannt zu werden.
Das ist ein großer Unterschied.
Für alle, die mehr lesen wollen--> Kleiner Exkurs: Marte Meo

Tja, das klingt jetzt alles so schön?
Find ich auch, und dann kommt´s doch wieder anders. :)
Naja, klar: Jeden Tag bekomm ich das auch nicht hin. Und schon gar nicht alles, was in meinem Mama-Help-Desk-Notizbuch so drin steht. Manchmal setze ich wirklich GAR NICHTS davon um und bin - na? Genau: Die schlechteste Mutter, die ich sein kann. Aber was zählt, ist, dass wir es versuchen. Immer und immer wieder. Und wenn doch mal wieder alle Stricke reißen, greift Tipp Nummer 1 :)
Du bist gut genug, Mama.
Quellenangaben:
Tipps für liebevolles Miteinander: https://www.therapie.de/psyche/info/ratgeber/lebenshilfe-artikel/
valentinstag/liebevolles-miteinander/
Die MarteMeo-Methode: https://www.martemeo.com/de/uber-marte-meo/die-marte-meo-methode/
https://artcoaching-berweger.ch/blog/98-einblick-in-die-marte-meo-methode
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